Martin Kobler und die Kunst des Dialogs

Zum Auftakt dieser Rubrik teile ich eine Erinnerung an ein prägendes Gespräch – geführt vor 20 Jahren mit dem damaligen deutschen Botschafter in Kairo. Es ist eine persönliche Reflexion über interkulturellen Dialog, Respekt und die Bedeutung des Zuhörens – ein Einblick in das, was bleibt, wenn die Schlagzeilen schon längst verblasst sind.
Es war meine erste Auslandsreise als junger Journalist – und zugleich eine Rückkehr. Ein paradoxes Gefühl: Denn dieses „Ausland“, über das ich berichten sollte, war zugleich mein „Inland“. Das Land meiner Kindheitserinnerungen, der Geburtsort meiner Eltern, die Sprache, in der ich dachte, bevor ich schreiben lernte. Ich war im Auftrag einer deutschen Redaktion unterwegs – und doch auch auf einer Reise zu mir selbst. In der ersten Heimat, mit dem Blick der zweiten.
Ich sollte den deutschen Botschafter in Ägypten interviewen – Martin Kobler. Ein erfahrener Diplomat, der damals schon auf Stationen in New York, Bagdad, Bonn und Brüssel zurückblicken konnte. Er war nicht nur ein Vertreter Deutschlands im Ausland – er war ein Brückenbauer in Zeiten des Umbruchs. Später leitete er UN-Missionen in Afghanistan, im Irak, im Kongo und in Libyen. Doch damals, im August 2005, war er der Botschafter meiner zweiten Heimat in meiner ersten. Und ich war der junge Journalist mit zwei Herzen in der Brust, der mit gespannter Erwartung und feuchten Händen das Botschaftsgebäude in Kairo betrat.
In seinem lichtdurchfluteten Büro in der Deutschen Botschaft in Kairo saßen wir uns gegenüber – Martin Kobler und ich. Es war ein heißer Tag, die Luft stand still über den Boulevards der ägyptischen Hauptstadt. Ich hatte unterwegs Krawatte und Jacke abgelegt, nicht ohne schlechtes Gewissen. Der deutsche Botschafter aber begegnete mir in legerer Kleidung – ein kleines, stilles Zeichen dafür, dass er das Protokoll dem Menschlichen unterordnete.
Kobler war nicht der Typ Diplomat, der sich hinter Titeln oder Phrasen versteckte. Er sprach mit klarer Stimme und einer tiefen Neugier auf sein Gegenüber. Sein Verständnis von interkulturellem Dialog war kein abstraktes Konzept, sondern gelebte Praxis. Er wollte „wissen, was die Menschen denken“, wie er es nannte – nicht nur die Eliten, nicht nur die Funktionäre, sondern die Studierenden, die einfachen Bürgerinnen und Bürger, die Stimmen auf der Straße.
„Interkultureller Dialog beginnt mit Respekt“, sagte er. „Respekt vor der Kultur, vor der Religion, vor der Geschichte des anderen.“ Und diesen Respekt lebte er. Ob mit dem Großscheich von al-Azhar, dem koptischen Papst oder in einer Diskussionsrunde mit Politikwissenschaftsstudierenden in Assiut – Kobler begegnete allen auf Augenhöhe. Es ging ihm nie darum, zu belehren, sondern zu verstehen.
Er war sich auch der Brüche bewusst – der Misstrauenslinien zwischen Orient und Okzident. Aber gerade deshalb rief er unermüdlich dazu auf, Brücken zu bauen. Er forderte von Dialogpartnern eine klare Haltung gegen den Terrorismus – ohne zu verallgemeinern, ohne mit dem Finger zu zeigen. Und er betonte, dass der Dialog nicht an den Toren der Moscheen enden dürfe. Denn, so sagte er, es seien gerade die Imame, die in der Pflicht stünden, ein friedliches Islamverständnis zu vermitteln – eines, das den Missbrauch der Religion für Hass, Hetze und Gewalt entschieden zurückweist.
Als das Gespräch zu Ende ging, trat ein Moment der Stille ein. Ich erinnere mich, dass er mir erneut das Baraka-Wasser in mein Glas schenkte und sagte: „Das Wasser heute ist von der Marke Baraka (arabisch für ‚Segen‘). Das passt ja zu Ihrem Besuch bei uns in Ägypten.“ Diese kleine Geste berührte mich damals tief – und berührt mich noch heute. In diesem Moment dachte ich: „Das ist ja also die situative interkulturelle Kompetenz!“ Die Worte und die Geste, obwohl sie auf Deutsch ausgesprochen wurden, klangen für mich irgendwie arabisch – als trügen sie die warme, einladende Atmosphäre arabischer Gastfreundschaft in sich.
Er blickte auf das Wasserglas, bevor er sich noch einmal zu mir wandte: „Öffnet eure Herzen! Vor allem ihr jungen Menschen. Verhärtet euch nicht! Nutzt die Möglichkeiten dieser Welt – und bewahrt euch die Fähigkeit, in Frieden zu leben!“ Es war kein diplomatischer Schlusssatz, sondern eine Haltung, die er mir mit auf den Weg gab – eine Haltung der Hoffnung. Was mir von diesem Interview mit Martin Kobler geblieben ist, sind keine Schlagzeilen, sondern Sätze, Gesten und eine Hoffnung, die nie verblasst.

Ein Leben im Dienst der Völkerverständigung
Martin Kobler wurde 1953 in Stuttgart geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften, asiatischen Philologie sowie des indonesischen Staats- und Seerechts schlug er früh den Weg in den Auswärtigen Dienst ein. Seit 1983 vertrat er die Bundesrepublik Deutschland an zahlreichen Brennpunkten der internationalen Politik – mit besonderem Fokus auf den Nahen Osten und Südasien. Stationen führten ihn u. a. nach Kairo, Neu-Delhi, Islamabad, Bagdad und Ramallah.
In den 1990er Jahren leitete er das deutsche Vertretungsbüro in Jericho und war anschließend enger Berater und Büroleiter von Außenminister Joschka Fischer. Von 2003 bis 2006 war er deutscher Botschafter in Ägypten – eine Zeit, in der er durch große Offenheit im interreligiösen und interkulturellen Dialog auffiel. Es folgten weitere Spitzenposten: als Botschafter im Irak (2006–2007) und schließlich als Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung für Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt (2007–2010), wo er die strategische Ausrichtung der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik maßgeblich mitgestaltete.
Internationales Ansehen erwarb sich Kobler vor allem durch seine Einsätze für die Vereinten Nationen: als stellvertretender Leiter der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA), später als Sonderbeauftragter und Missionsleiter der UN im Irak (UNAMI), im Ostkongo (MONUSCO) und in Libyen (UNSMIL). Über Jahre hinweg koordinierte er dabei komplexe Friedens- und Stabilisierungsmissionen – oft unter schwierigsten Bedingungen. Ein geplantes Attentat auf ihn in Libyen im Jahr 2017 konnte glücklicherweise verhindert werden.
Seine letzte Station im diplomatischen Dienst war von 2017 bis 2019 das Amt des deutschen Botschafters in Pakistan. Seither befindet sich Kobler im Ruhestand – doch seine Stimme als Mahner für Dialog, Verständigung und kulturellen Respekt bleibt bis heute präsent. Für seine herausragenden Verdienste um die Vereinten Nationen wurde Martin Kobler in diesem Jahr – im März 2025 – mit der Dag-Hammarskjöld-Ehrenmedaille ausgezeichnet.